Sabine Leidig
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Redetext

Artikel
Gemeinnützigkeit als Politikum – nicht sexy aber oho!
27. März 2019
Erschienen in Die Freiheitsliebe
Unter der Überschrift "Die Entscheidung gegen Attac ist ein schlechter Witz" kommentiert Heribert Prantl am 29.2. in der SZ: “Der Bundesfinanzhof hat Attac die Gemeinnützigkeit abgesprochen. Hundesport und Rasenschach werden also steuerlich gefördert, Globalisierungskritik nicht. Das ist eine Farce.”

Das Trockene vorab:

Gemeinnützigkeit wird heute im Wesentlichen durch das Steuerrecht definiert. Es bestimmt Körperschaften, insbesondere Vereine, als gemeinnützig, wenn sie sich der »selbstlosen Förderung der Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet« widmen. Ist dies mit der Verfolgung konkreter, klar umschriebener Zwecke verbunden, wird die Arbeit des Vereins steuerlich begünstigt. Über die Anerkennung entscheidet das Finanzamt. Die allgemeinen rechtlichen Grundlagen finden sich in der Abgabenordnung, die regelmäßig an veränderte politische Erfordernisse angepasst wird. Wesentliche Voraussetzung der Anerkennung der Gemeinnützigkeit sind die gemeinnützigen Zwecke (§ 52), die in einem Katalog festgeschrieben wurden. Von den 25 genannten Zwecken waren drei die Grundlage der Gemeinnützigkeit von Attac:

(13) die Förderung internationaler Gesinnung, der Toleranz auf allen Gebieten der Kultur und des Völkerverständigungsgedankens;

(24) die allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens im Geltungsbereich dieses Gesetzes; hierzu gehören nicht Bestrebungen, die nur bestimmte Einzelinteressen staatsbürgerlicher Art verfolgen oder die auf den kommunalpolitischen Bereich beschränkt sind;

(25) die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements zugunsten gemeinnütziger, mildtätiger und kirchlicher Zwecke.

 

 

Bis…  ja, bis am 26. Februar 2019 der Bundesfinanzgerichtshof (BFH) feststellte dass die „Einflussnahme auf politische Willensbildung und Gestaltung der öffentlichen Meinung […] keinen gemeinnützigen Zweck erfüllt.“ Damit hatte sich indirekt der Bundesfinanzminister (ehemals Schäuble) durchgesetzt, der Initiator für die Intervention des BFH war. Zuvor hatte nämlich (nach einem nervenaufreibendem hin-und-her mit dem zuständigen Finanzamt Frankfurt) das Finanzgericht Hessen eindeutig und gut begründet FÜR Attac entschieden. Dagegen legte der Bund aktiv Revision ein, was ganz und gar unüblich ist.

Besonders „Oho!“ ist dieser Schlag, wenn man sich anschaut, wer – im Gegensatz zu Attac und jenseits der harmlosen Hobbypflege – unbehelligt als gemeinnützig gilt. Die „Stiftung Familienunternehmen“ zum Beispiel: im Kuratorium Vertreter der Großkonzerne Henkel, Kärcher, Merck. Die Stiftung pflegt enge Beziehungen zur Politik und kämpfte (leider erfolgreich) gegen die Reform der Erbschaftssteuer. Aber nützt das der Allgemeinheit? Oder die „Deutsche Gesellschaft für Wehrtechnik“ ist als gemeinnütziger Verein anerkannt. Unter den Mitgliedern sind viele Rüstungsfirmen. Der Verein bringt sie zum Beispiel regelmäßig mit Militärattachés verschiedener Länder zusammen. Auf dem Jahresprogramm 2019 eine Veranstaltung zur Frage, wie man mit der NATO Geschäfte macht. Das gilt als „selbstlos“.

 

Der Präzedenzfall Attac ist ein besorgniserregendes Signal für die gesamte kritische Zivilgesellschaft in Deutschland. Vor allem mit Blick auf Vertreter von Regierung und Parteien (CDU/CSU/FDP/AfD), die derzeit offen damit drohen, der Deutschen Umwelthilfe  die Gemeinnützigkeit zu entziehen. Organisationen, die sich für eine sozial und ökologisch gerechte Gesellschaft einsetzen, sollen geschwächt werden. Nichtregierungsorganisationen als politischer Störfaktor? Attac könnte erst der Anfang sein. Die Online-Kampagnenorganisation Campact hat dieser Tage bekannt gegeben, keine Spendenbescheinigungen mehr auszustellen, da sie damit rechnet, ebenfalls den Status der Gemeinnützigkeit zu verlieren. Campact muss befürchten, ansonsten für entgangene Steuereinnahmen haftbar gemacht zu werden. Auch unter anderen NGOs herrscht Verunsicherung darüber, ob und in welcher Form sie weiterhin politisch Stellung beziehen können, ohne ihre Gemeinnützigkeit zu gefährden.

 

Allerdings gibt es auch kollektive Gegenwehr. In der Allianz »Rechtssicherheit für politische Willensbildung«, haben sich 80 Vereine und Stiftungen zusammengeschlossen – darunter auch Brot für die Welt oder Oxfam. Ihr Ziel: Die gesetzliche Grundlage des  Gemeinnützigkeitsrechts, die Abgabenordnung, muss erweitert und an die Erfordernisse einer modernen Demokratie angepasst werden. Zudem muss der Satzungszweck „Förderung des demokratischen Staatwesens“ als spezifischer Zweck – vergleichbar dem Umweltschutz – anerkannt werden. Das ist die Aufgabe des Bundestages.

Dazu läuft auch der Campact-Appell an SPD-Finanzminister Olaf Scholz: „Die Zivilgesellschaft ist gemeinnützig!  …. Jetzt muss die Bundesregierung ran – und klarstellen: Die Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen nutzt uns allen. Sie ist gemeinnützig. …“

Das globalisierungskritische Netzwerk Attac ist entschlossen, die Gemeinnützigkeit von selbstlosem politischem Engagement notfalls vor dem Bundesverfassungsgericht zu verteidigen. Für diesen (teuren) Weg ist Unterstützung nötig: https://www.attac.de/kampagnen/jetzt-erst-recht/jetzt-erst-recht/