Sabine Leidig
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Redetext

Artikel
Die Misere der Deutschen Bahn
19. Dezember 2018
Erschienen in Frankfurter Rundschau
Statt sich das Mantra der Marktwirtschaft von Beratern wie McKinsey vorbeten zu lassen, sollte die Deutsche Bahn endlich auf die Bürger hören.

Zwei Anlässe haben mich zu diesem Beitrag animiert: das jüngst beschlossene Planungsbeschleunigungsgesetz und die offensichtliche Krise der Deutschen Bahn. Doch eins nach dem andern:

Am 27.11. schrieben an dieser Stelle die beiden Grünen-Verkehrspolitiker Gastel und Kühn unter der Überschrift „Schneller planen und bauen“ richtigerweise viel Kritisches über das mangelhafte Gesetz der großen Koalition „Zur Beschleunigung der Planung von Verkehrsprojekten“. Damit werden Beteiligungsrechte von Bürgerinnen und Bürgern sowie Umweltverbänden weiter eingeschränkt.

Tatsächlich scheitert die zügige Planung und Fertigstellung von Bauprojekten vor allem daran, dass in Planungsbüros und bei Genehmigungsbehörden, aber auch auf den Baustellen zu wenig Personal, zu wenig Kompetenz und zu wenig Kooperation vorhanden ist. Paradigmatisch ist das endlose Desaster beim neuen Flughafen in Berlin oder bei Stuttgart 21.

Als Gegenmodell mag die Schweiz gelten: Dort ist mit direktdemokratischen Verfahren ein Höchstmaß an Bürgerbeteiligung gewährleistet, und trotzdem – oder gerade deshalb – werden selbst Großprojekte wie der Gotthard-Basistunnel im Zeit- und Kostenrahmen fertig.

 

Dringlichkeit der sozial-ökologischen Transformation

Unverständlich, dass das Gesetz, das die Zustimmung im Bundesrat benötigte, dort nicht gestoppt wurde, obwohl Bündnis 90/Die Grünen das leicht hätten bewirken können. Gegenstimmen und Enthaltung gab es nur aus Berlin, Brandenburg und Thüringen, weil die Linke darauf gedrängt hat.

Die Klimakonferenz in Katowice hat die Dringlichkeit der sozial-ökologischen Transformation deutlich gemacht. Die Megamaschine für kapitalistisches Wachstum muss gebremst werden. Das Planungsbeschleunigungsgesetz folgt dem Credo, dass Verkehrswachstum der Wirtschaft und dem Wohlstand dient. Wenn dieser Planet aber lebenswert bleiben soll, müssen neue Maßstäbe für ein gutes Leben entwickelt werden.

Deshalb ist es eine schlimme Botschaft, wenn die Regierung aktive Bürgerinnen und Bürger als Störenfriede betrachtet, die staatliches Handeln erschweren. Ohne kompetente Menschen, die ihre Bedenken und Vorschläge einbringen, gibt es keine lebendige Demokratie, keine Verkehrswende und schon gar keine sozial-ökologische Transformation.

 

Dichter Taktfahrplan, hohe Pünktlichkeit, guter Service

Das zeigt sich auch an der Misere der Deutsche Bahn AG. Das Unternehmen scheint in einem Prozess der Selbstzerstörung gefangen. Der Privatisierungskurs, der mit jahrelangen Sparmaßnahmen besonders bei der Instandhaltung von Zügen und Infrastruktur einherging, hat ein desolates Ergebnis hinterlassen.

Allerdings prallten bislang die Forderungen, das größte öffentliche Unternehmen am Allgemeinwohl auszurichten (den Kurs von „Börsenbahn“ auf „Bürgerbahn“ umzulenken) an der Ignoranz des Verkehrsministers ab. Nun warnt selbst der Präsident des Bundesrechnungshofes in einem Sonderbericht davor so weiterzumachen: „Die Eisenbahninfrastruktur wurde jahrelang auf Verschleiß gefahren. Sie ist in einem schlechten Zustand, der Investitionsstau wächst. Bei ihrem Erhalt läuft vieles schief …“

Wir fordern, dass der Gewinnabführungsvertrag aufgelöst wird. Alle Gelder, die vom Staat in die Infrastrukturgesellschaften (Netz, Station & Service) fließen oder dort erwirtschaftet werden, müssen in diesen Gesellschaften bleiben und reinvestiert werden. Die Trennung von Infrastruktur und Betrieb, wofür unter anderem Toni Hofreiter plädiert, ist weder zweckmäßig noch nötig. Um einen dichten Taktfahrplan, hohe Pünktlichkeit, guten Service, die Ausrichtung an Kundenwohl und Steuereffizienz bei der Bahn zu bekommen, ist Demokratisierung sinnvoll – wie sie in der Schweiz erfolgreich praktiziert wird.

Eine zentrale Fehlstellung ist doch, dass das hochsubventionierte Netz Gewinne macht und diese an den DB-Konzern abführt, damit dort die Bilanz gut aussieht. Eine Bilanz, die marktwirtschaftlichen Dogmen folgt und nicht volkswirtschaftlichen, klimapolitischen, sozial-ökologischen Zielen.

Deshalb ist es auch widersinnig, nun erneut McKinsey & Co. mit Lösungsvorschlägen zu beauftragen. Diese Berater haben vor zwei Jahren das Programm „Zukunft Bahn“ entwickelt, das vor allem zu mehr Pünktlichkeit führen sollte. Das Gegenteil ist passiert.

Die neue Bahnreform braucht einen Perspektivenwechsel: Statt immer wieder die Matadoren des Marktwirtschaftsmantras einzukaufen, müssten endlich die Beschäftigten mit ihrer konkreten Erfahrung, mit ihrer Kompetenz und ihren vielen guten Lösungsvorschlägen zum Zuge kommen. Und ebenso die Fahrgäste, die Verkehrswende-Initiativen, die Kommunen und Umweltverbände. Hier liegt bahnpolitisches Potenzial für gerechte und demokratische Verkehrsverhältnisse.

 

Dieser Artikel erschien am 19.12.2018 als Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau.

Link: http://www.fr.de/politik/meinung/gastbeitraege/planungsbeschleunigungsgesetz-die-misere-der-deutschen-bahn-a-1640065