Sabine Leidig
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Redetext

Die Fraktionsspitze muss anders werden: Warum der Dietmar Bartsch (DB) als Fraktionsvorsitzender fehl am Platz war und ist
24. April 2022

Es gibt Probleme, die unsere Partei bisher nicht gemeistert hat, für die niemand direkt verantwortlich ist – die Überalterung im Osten oder die fehlende kommunale Verankerung in westlichen Landkreisen. Aber ohne Zweifel ist die Fraktionsführung dafür verantwortlich, die Potentiale der Fraktion bestmöglich zu entfalten. Die Linksfraktion im Bundestag war und ist mit Geld und Personal sehr üppig ausgestattet, im Vergleich zu allen anderen Parteistrukturen. Sie müsste und könnte ein Leuchtturm, ein Impulsgeber, ein Motor für die Linke sein. Das Gegenteil ist der Fall. Und hauptverantwortlich dafür ist Dietmar Bartsch, der seit 2015 an der Macht ist; im Verein mit Jan Korte und Amira Mohamed Ali (die zwar erst 2019 ins Amt kam, aber keine eigenständige Position zeigt).
2015 lagen noch Hoffnungen auf dem Doppel mit der Co-Fraktionsvorsizenden Sahra Wagenknecht. Aber von Beginn an gab es auch die Sorge, dass das machttakische Bündnis zwischen quasi Orthodoxen und staatstragenden Reformern zu einer Entdemokratisierung der Fraktion führen und die Pluralität platt machen könnte. Vor allem aber, dass diese Fraktionsspitze nicht konstruktiv mit der Parteispitze zusammenwirken würde. Ich gehörte zur großen Gruppe (mehr als ein Drittel unserer MdB), die solche Bedenken hatte. Mit wohlüberlegten Vorschlägen wollten wir vereinbaren, dass kollektive Beratung stattfindet und gemeinsame Politikentwicklung im Mittelpunkt steht, statt das Sichern der jeweiligen Pfründe. Versprochen – gebrochen.
Schon die Besetzung der zentralen Posten der Vorstandsreferent*innen offenbarte die grobe Linie: Absicherung der eigenen Position, ohne Rücksicht auf ein gemeinsames Ganzes oder begründete Vorbehalte. Das Gleiche galt (und gilt) für die Zusammensetzung des Fraktionsvorstandes, wofür auch die Zuschnitte der Arbeitskreise „angepasst“ wurden. Immer mit mehr oder weniger knappen Abstimmungsmehrheiten; verbunden mit einem paternalistischen System: Getreue werden mit Posten und Präsenz in der Öffentlichkeitsarbeit belohnt, Widerspenstige werden gewissermaßen kaltgestellt.
Im Ergebnis fällt die Bundestagsfraktion seit Jahren dadurch auf, dass gegensätzliche Haltungen vertreten werden und Stimmung gegen die eigene Partei gemacht wird.
Dabei gab und gibt es wirklich viele gute Initiativen und Vernetzungen, die von MdB und ihren Büroteams oder auch von Fraktionsreferent*innen voran gebracht werden. Die mietenpolitische Arbeit von Caren Lay beispielsweise. Die hätte ein Schwerpunkt der Fraktion werden müssen – verbunden mit sozial-ökologischer Energie- und Verkehrspolitik, mit Wirtschaftspolitik zum Thema Enteignung oder mit sozialpolitischen Offensiven. Bestens verknüpft mit der Kampagne der Partei und mit Mieter*innen-Initiativen. Caren wäre eine Fraktionsvorsitzende mit Ausstrahlung gewesen. Oder Martina Renner , die als unsere profilierteste Antifaschistin mit sozialer Kompetenz und inhaltlichem Format dem Rechtsruck fundiert Paroli böte. Zu keinem Zeitpunkt war und ist der Status Quo alternativlos. Doch die Fraktionsspitze und namentlich Dietmar Bartsch sorgte dafür, dass eine knappe Mehrheit die „Beutegemeinschaft“ stützte und aus der Linksfraktion eine Ansammlung mehr oder weniger motivierter „Ich-AGs“ wurde.
Mein Paradebeispiel für mutwillig zerstörte Potentiale ist der Umgang mit dem „Aktionsplan für Klimagerechtigkeit“. Dafür hatte sich eine Projektgruppe gefunden, die sehr systematisch nicht nur die Inhalte erarbeitete, sondern auch ein Konzept der Beteiligung Verbündeter und der wirkungsvollen Öffentlichkeitsarbeit. Dieses wurde (mitsamt Zeitplan) im April 2019 in der Fraktion vorgestellt, diskutiert und in großer Einhelligkeit beschlossen. Ein zentrales Ziel war die Präsentation unserer konzeptionellen Beiträge im Vorfeld der Weltklimakonferenz im Dezember 2019. Die LINKE wäre als kompetente Stimme erkennbar geworden. 2020 sollte eine attraktive Konferenz auf die Beine gestellt werden – ähnlich erfolgreich wie die „Genug für alle! – sozial.öko.logisch“ in Essen, die wir Anfang 2017 gemeinsam mit der RLS organisiert hatten.
Die Projektgruppe erfüllte erfolgreich Pläne, legte Entwürfe vor, organisierte ein Forum zur Beteiligung externer Expert*innen aus Klimabewegung, NGOs und Gewerkschaften. Die persönliche Referentin von DB, Julia Schramm, hat an einigen Arbeitstreffen teilgenommen, aber versprochene Unterstützung blieb aus. Im Gegenteil: Die Verabschiedung des Programms gestaltete sich zäh, weil die Fraktionsführung den Widerständen einer Handvoll Männer um Klaus Ernst sehr viel Raum gab. Die Öffentlichkeitsarbeit blieb weitgehend aus. Die ganze Dynamik war ausgebremst worden. Es gab keine Pressekonferenz und keine Unterstützung für weitere Aktivitäten. Der gedruckte Aktionsplan kam spät und auf der Homepage der Fraktion ist er nur zu finden, wenn nach dem richtigen Schlagwort gesucht wird. Wie unliebsame DDR-Literatur hat der Fraktionsapparat unter DB diesen potentiellen Meilenstein unter der Ladentheke versteckt.
Schon deshalb – weil eine Erneuerung der Linken und der Linksfraktion im Bundestag nicht ohne klimagerechte Ausrichtung geht, nicht ohne kollektive Dynamik und nicht ohne Verknüpfung mit sozial-ökologischen Bewegungen – schon deshalb darf die Fraktionsspitze nicht so bleiben und darf Dietmar Bartsch nicht weiter Fraktionsvorsitzender sein.
Es gibt noch eine Reihe weiterer Gründe, die mit dem Grundverständnis einer pluralistischen, emanzipatorischen Linken zu tun haben. Dazu passt ein autoritäres Führungssystem nicht. Genauso wie die Talk-Show-Politik von Sahra Wagenknecht & Co der guten Entwicklung unserer Partei entgegen steht, wird diese von Hinterzimmerpolitik und Bürokratisierung á la Bartsch blockiert.
Auf ein Neues!

P.S.: Ich wurde – damals noch als Bundesgeschäftsführerin von Attac – erstmals 2009, dann 2013 und 2017 von der LINKEn Hessen auf Listenplatz 1 und so in den Bundestag gewählt. 2021 habe ich nicht mehr kandidiert. 12 Jahre gehörte ich der Linksfraktion an, war vor allem verkehrs(wende)politische Sprecherin, immer im KoKreis der Kontaktstelle Soziale Bewegungen (zeitweise als Beauftragte im Fraktionsvorstand) und seit 2013 Koordinatorin der Projektgruppe sozial-ökologischer Umbau. Ich kenne Dietmar Bartsch also aus diesem Arbeitszusammenhang und kann weder über seine Verdienste für die SED, noch über sein wirken im Karl-Liebknecht-Haus oder in Mecklenburg-Vorpommern Auskunft geben.